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Wie Gustav sein Glück fand!

Eine wunderschöne Geschichte zum Thema Dreierbeziehung „KlientIn - Gestaltung – TherapeutIn”

von Angela Schmid Maiullari

Gustav sass glücklich auf seinem Lieblingsblatt und dachte über seine Klienten nach. Damit wir gleich zu Beginn alles richtig verstehen, Gustav ist ein ziemlich grosser Käfer. Er hat einen schimmernden Panzer, sechs krumme Beinchen und zwei grosse starke Flügel. Wenn er fliegt, surrt es laut in der Luft. Gustav hatte neuerdings Klienten, dass war recht bemerkenswert. Er hatte zwei leistungs­orientierte Ameisen, ein zu aggressives Wespenjunges und den Schmetterling mit den Beziehungs­problemen. Er nahm seine Sache sehr ernst. 

Das entscheidende Ereignis, das Gustavs Leben verändert hatte, war unscheinbar gewesen. An einem warmen Junitag hatte er eine Pfütze gefunden und trank ein wenig vom frischen Regenwasser. Gerade als er abheben und von dannen surren wollte, sah er es. Nur einen ganz kleinen Moment lang und doch lange genug. Er sah im Spiegelbild der trüben Pfütze die Innenseiten seiner Flügel leuchten. Darin konnte er plötzlich Farben erkennen, die er nie zuvor bemerkt hatte. Das berührte ihn tief und sonderbar. Sollte es mehr Farben und Facetten seiner Selbst geben, als er wusste? War so etwas möglich? 

Immerhin war er kein junges, unerfahrenes Käferbaby mehr. Es überkam ihn eine unbezähmbare Neugier, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Er wollte diese Farben bannen, malen, damit er sie besser verstehen könnte, damit er besser wüsste, wer er eigentlich war. Sofort flog er nach Hause und begann zu malen. Er konzentrierte sich sehr. Plötzlich füllten die Farben seinen winzigen Kopf und die Hand malte und malte und er war voller Glück, ohne es wirklich zu merken. Nun wäre es ganz falsch anzunehmen, Gustav habe in seinem Inneren nur schöne und helle Farben gesehen, nein er sah auch düstere und sogar angsteinflössende. Manchmal wurde er froh und leicht durch das Malen, manchmal aber auch traurig oder wütend, ohne so recht zu wissen warum. 

Nach ein paar Wochen bemerkte er es und es überraschte ihn nicht wenig: plötzlich konnte er höher fliegen! Und auch länger! Es war, als wären seine Flügel durch das viele Malen stärker geworden, er selber wagemutiger und ja, sogar lebenslustiger. Gustav war es ja auch nicht immer gut gegangen. Es muss einfach einmal gesagt sein: Insekten führen ein recht schweres Leben. Wir Menschen glauben ja, einfältig und kurzsichtig wie wir sind, Insekten hätten das Glück, ganz und gar dumm zu sein. Wir glauben, sie wären anders als wir, vom Übel des Bewusstseins befreit. Wir glauben, sie wüssten nichts vom Sterben und sie kennten keine Angst. Das stimmt natürlich nicht. Ihr Leben ist oft unglaublich kurz, stets bedroht, und dauernd sind sie auf der Hut. Fast täglich, manchmal sogar stündlich erleben sie haarsträubende Tragödien. Dies alles bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Psyche der Insekten. Bereits normal ist beispielsweise die Vogelphobie. Überhaupt sind Phobien weit verbreitet. Es gibt etliche Insekten, die sich bei Tageslicht gar nicht mehr aus ihren Schlupflöchern wagen. Viele leiden auch unter einem immensem Leistungsdruck und ein Dauerthema ist natürlich die Sinnfrage. Kann es sein, dass der Sinn der eigenen Existenz sich darin erschöpft, sich zu vermehren und schliesslich aufgefressen zu werden? Das sind ganz grosse philosophische Fragen. 

Betrachten wir nun also Gustavs erstaunliche Entdeckung. In diesem Kontext wundert es nicht, dass er bald zu einem gefragten Käfer wurde. Zu Anfang wusste Gustav gar nicht so recht, was er mit all den Problemen, die er da von hilfesuchenden Insekten zu hören bekam, anfangen sollte. So entschied er sich, einfach mal ruhig zuzuhören und alle malen zu lassen. Deshalb erfuhr er von den tiefen Ängsten und Sorgen, von den Sehnsüchten und natürlich von all den Partnerschaftsproblemen. 

Ich denke, man darf sagen, dass Gustav allmählich eine gewisse Professionalität an den Tag legte. Da er ein sehr ernsthafter Käfer war, nahm er keine Sache als unwichtig. Wenn er selber ratlos war, suchte er Rat bei Gertrude. Sie war eine ungeheuer erfahrene und dicke Spinne, und sie war eine Meisterin im vernetzten Denken. Ja, da kann man schon ins Staunen kommen. Gustav hatte sich nämlich eine ganze Reihe von Regeln zurecht gelegt. Er gab sich stets Mühe, einfühlsam seine beiden Fühler auszurecken. Er wollte ehrlich sein, ohne seine Klienten zu verletzen, und er wollte sie achten und schätzen, auch wenn sie abstossende Dinge getan hatten. Er kritisierte die Bilder seiner Klienten nicht, den es ging ihm nicht darum, dass sie schön malten, sondern dass sie überhaupt malten. 

Helga und Brigitte, die beiden Ameisendamen hatten ihn auf die Idee gebracht, Dinge auf dem Blatt auszuprobieren. Lebt man in einem Ameisenstaat ist es gar nicht einfach, einmal vom Weg abzukommen. Stets rennt man seine Strasse entlang und schuftet, ohne viel dabei zu denken. Helga und Brigitte arbeiteten von früh bis spät und natürlich, ohne dass ihre Überstunden bezahlt worden wären. Sie hassten ihre Vorgesetzte, die einfach nicht qualifiziert genug war. Ach, es war für die beiden Ameisendamen nicht mehr zum Aushalten. Helga hatte sogar manchmal Migräne und Brigitte hatte angefangen, sich viel zu oft zu waschen. 

Gustav lies die Beiden ihre Innenseite malen. Helga malte sogar ihre Migräne und Brigitte malte viele kleine Punkte, die sie an die Ameiseneier erinnerten, die sie so gerne betreut hätte.
 

Einmal verlangte Gustav von Helga gleich drei Bilder zu malen. Als erstes sollte sie ihre eigenen Gefühle abbilden, dann die ihrer Vorgesetzten. Ja Gustav forderte, dass sie sich in die Rolle der Chefin hineinversetzen solle. Dies fiel Helga sehr schwer. Doch zum Glück wagte sie diesen Schritt, den plötzlich verstand sie auch die Vorgesetzte ein bisschen besser, aber nur ein bisschen. Schliesslich konnte Helga das dritte Bild malen. Es sollte das erste und das zweite miteinander verbinden. Viele solche Übungen fielen Gustav ein. Und sie wirkten. Helga zum Beispiel wurde weicher, einfühlsamer und freundlicher. Genau die Eigenschaften, die ihr zu einer guten Führungsperson gefehlt hatten. Gustav war sich sicher, dass sie bald befördert werden würde. 

Brigitte hatte viele böse Stimmen in sich, die ihr stets vorsagten, wie schlecht und unnütz sie doch sei. Gustav wollte, dass Brigitte ihren inneren Kritiker male. Jetzt konnte Sie dem inneren Kritiker antworten, sie lernte ihn richtig einzuschätzen und ihn nicht mehr so ernst zu nehmen. Plötzlich eines Tages, hatte sie einfach den Mut aufgebracht und um eine Versetzung in die Larvenstation gebeten. Ihr Antrag wurde angenommen. Jetzt geht es ihr viel besser, obwohl sie immer noch viel zu scheu ist. 

Das kann man von Clarissa, dem wunderschönen Schmetterling, nun wahrlich nicht behaupten. Sie ist arrogant und flatterhaft, wie Schmetterlinge eben so sind. Sie hatte etliche Männchengeschichten, die nie gut endeten. Clarissa wollte zu Beginn gar nicht ihre 
Innenseite malen. Wozu auch? Wenn doch die Aussenseite so wunderschön war. Nun gut, dachte Gustav, so lasse ich sie halt ihre Aussenseite malen. Dies wurde aber Clarissa bald zu blöd, denn so schön wie sie schliesslich war, wollte es ihr doch nicht gelingen. Sie wurde rasch wütend und neigte zu Zornausbrüchen. Sie war eine echte Herausforderung für Gustav und er ging öfter als sonst zur Spinne Gertrude. 

Jedes Mal dachte Gustav sie würde nicht wiederkommen und jedes Mal kam sie wieder. Sie malte wunderbar, das muss gesagt sein. Ab und zu gab es Momente, da wurde Clarissa ruhig und nachdenklich. Sie erinnerte sich an früher, als sie eine kleine dicke Raupe gewesen war. Sie war nicht immer so schön gewesen wie jetzt, dafür schämte sie sich. Mit Gustav sprach sie zum ersten Mal in ihrem Leben über diese schreckliche Zeit. Es tat Clarissa gut, dass es da jemanden gab, dem sie diese schrecklichen Dinge erzählen konnte, jemandem dem sie vertrauen konnte. Es wurde ihr bewusst, dass sie so viele Liebschaften hatte, um sich immer wieder zu beweisen, dass sie jetzt schön und gut, im Grunde liebenswert war. Als ihr das klar wurde, änderte sich ihr Verhalten den Männern gegenüber allmählich. Nur noch dann wenn einer gar allzu schön war, aber Spass durfte man ja haben, hatte Gustav gesagt.

Auch Fips das kleine Wespenjunge beschäftigte Gustav sehr. Es war richtig hyperaktiv und recht aggressiv. Gustav versuchte stets die ganze Familie in den Prozess miteinzubeziehen, aber das war gar nicht so einfach. Aggressivität war in dieser Familie normal. Da wurde Gustav dann auch ethisch gefordert. Wann war etwas noch normal und wann nicht? Solange die Wespen unter sich waren, gab es keine Probleme. Sie lösten Schwierigkeiten auf ihre Weise, und alle waren zufrieden. Das Problem entstand erst dann, wenn sie auf die Bienen trafen. Auch das Leben der Bienen ist kein Honiglecken, (ähnliche Problematik wie bei den Ameisen). Tja, manchmal musste Gustav sich auch mit dem Möglichen zufrieden geben. Nicht alle sozialen Spannungsfelder auf seiner Wiese konnte er lösen. So versuchte er sein Bestes mit Fips und lies ihn ein böses Monster basteln, was dem Kleinen sehr gefiel. Eines Tages erklärte Fips, dieses Monster würde ihm unter die Flügel kriechen, wenn er nur von weitem eine der ekligen Bienen sähe. Und so hatte Gustav plötzlich ein Instrument gefunden, um Fips ein bisschen Kontrolle über seine Aggressivität zurückzugeben. Er sollte das Monster mit einem Zauberwort verschwinden lassen, was erstaunlicherweise oft klappte. 

Ja, ja Gustav war zufrieden mit seiner neuen Arbeit, auch wenn sie - dass muss leider gesagt sein - ein wenig unterbezahlt war. Die meisten Insekten brachten ihm zwar etwas mit. Aber auf der Wiese gab es keine wirklich gute Krankenkasse oder etwas vergleichbares. Niemand der Gustavs Arbeit nicht wichtig gefunden hätte, aber auch niemand der sie wirklich bezahlen wollte. Es brauchte also schon ein gutes Stück Idealismus und Insektenliebe für seinen Beruf. Aber Gustav war schliesslich ein Optimist. Er glaubte an das Gute im Insekt und auch daran, dass man seinen Weg gehen musste, wenn man erst einmal entdeckt hatte, dass es der richtige war. Und ausserdem machte ihn seine Arbeit sehr glücklich.

 

Wenn du also das nächste Mal einen grossen Käfer mit kräftigen Flügeln auf einem Blatt sitzen siehst, betrachte ihn genau - es könnte Gustav sein, der gerade über seine Klienten nachdenkt. Und wer weiss, vielleicht gelingt es ihm ja auch dich zum Malen zu bringen...

Die Kurzgeschichte wurde in der Fachzeitschrift "FORUM für Kunsttherapie" (Sondernummer 20 Jahre Schweiz. Fachverband GPK, Heft 2 -2005) veröffentlicht.  Die Autorin dieser Geschichte - Frau Angela Schmid Maiullari - eine Kollegin der Kunsttherapie - hat mir freundlicherweise den Text zur Veröffentlichung auf meiner Homepage zur Verfügung gestellt.

Inzwischen ist das erste Buch von Angela mit 21 kurzen Geschichten  unter dem Titel "Von Liebesperlen und Pinselgritzen" im woa Verlag erschienen. (ISBN  978-3-9522523-9-0)

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